Hausärzt:in 01/2025
Ärzt:in Assistenz 03/2024

Physiotherapie bei primären Kopfschmerzen – hilft das?

Blauer Wecker mit gelbem Blitz
Patient:innen-Fragen kompetent beantworten.
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Corinna K. (32) hat regelmäßig mit primären Kopfschmerzen zu kämpfen. Sie hat gehört, dass Physiotherapie helfen kann, und möchte von ihrer Hausärztin wissen, ob das stimmt, wie so eine Therapie aussieht, wie lange sie in etwa dauert und ob sie in der Folge weniger Schmerzmittel wird einnehmen müssen.

Medizinische Expertise
Bernhard Taxer

Bernhard Taxer, MSc, PhD (Physiotherapeut (OMT, EDPP) in Graz, Lehrender an der FH Joanneum Graz)

TAXER, PhD: Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) unterteilt anhand ihrer ausgearbeiteten Kriterien das häufig vorkommende Leitsymptom Kopfschmerz in drei große Kategorien: in primäre und in sekundäre Kopfschmerzen sowie in schmerzhafte kraniale Neuropathien und andere Gesichts- und Kopfschmerzen. Wenn noch keine neurologische Abklärung vorgenommen wurde, sollte diese bei erstmaligem Auftreten der Kopfschmerzsymptomatik erfolgen – und zwar unabhängig vom Alter der Patient:innen sowie inklusive einer umfassenden Untersuchung bzw. einer klinischen Erfassung von möglichen Red und Orange Flags, d. h. eventuellen gefährlichen und/oder psychiatrischen Hintergrunderkrankungen (siehe dazu auch SNNOOP-10).

Nach Ausschluss der möglichen kausalen Aspekte (malignes Geschehen, Traumata, neurologisch-degenerative Erkrankungen), die einen sekundären Kopfschmerz bedingen können, geht die Diagnostik möglicherweise in Richtung Migräne mit oder ohne Aura bzw. expliziter in ihre Unterformen. Spannungskopfschmerzen werden häufig vom Umfeld der Patient:innen, aber auch von den Betroffenen selbst landläufig als Migräne bezeichnet.

Sie sind in ihrer Klinik – vor allem in Bezug auf das Schmerzverhalten – jedoch klar von der Migräne abzugrenzen. Je nach Intensität und Häufigkeit der Migräneattacken wählen die behandelnden Ärzt:innen aus einer breiten pharmakologischen Palette (NSAR, Triptane, Gepante, CGRP-Antagonisten, Antikonvulsiva) zur Akutbehandlung und zur Prophylaxe. Auch die Behandlung mit Botulinumtoxin stellt bei Migräne eine Option dar und zeigt unter anderem bei der hochfrequenten Form positive Effekte. Zudem ist es inzwischen unumgänglich, Patient:innen auf vorteilhafte Lifestyle-Modifikationen hinzuweisen, die von regelmäßiger Bewegung über Ernährungsaspekte bis hin zum Schlaf- und Entspannungsmanagement reichen.

Patient:innen wie Corinna K. stehen pharmakologischen Interventionen jedoch häufig kritisch gegenüber und probieren daher auch unkonventionelle Strategien aus (darunter teils unseriöse Angebote, die leider immer wieder über soziale Medien kolportiert werden), um ihre Schmerzen und damit einhergehende Einschränkungen in Beruf und Alltag zu verringern. Evidenzbasierte physiotherapeutische Strategien können hingegen neben einer pharmakologischen Therapie dazu beitragen, primäre Kopfschmerzen zu mildern.

Diese Maßnahmen sind keine kausale Therapie, sondern eine zusätzliche Möglichkeit, unter anderem sensibilisierte Regionen wie Kopf, Kiefer und Nacken so zu beeinflussen, dass die Gesamtbelastung reduziert werden kann.

Physiotherapie, Training und Entspannungsverfahren

In der Physiotherapie untersuchen speziell ausgebildete Therapeut:innen ebenfalls die Patient:innen, die in der Regel durch Hausärzt:innen, aber auch durch Fachärzt:innen für Neurologie überwiesen werden: sowohl auf subjektiver Ebene (Anamnese inklusive Red-Flag-Abklärung) als auch auf objektiver (neurologische, körperlich-funktionelle Untersuchung). Im Fall eines primären Kopfschmerzes wie der Migräne scheint eine Untergruppe von Patient:innen ein gehäuftes Vorkommen neuromuskuloskelettaler Auffälligkeiten zu zeigen, die vor allem die Kiefer-, Nacken- und Schultergürtelregion betreffen.

Neben einer Überempfindlichkeit weisen diese Personen auch Defizite in der Koordination und Kraft der Nackenmuskulatur sowie teilweise mit dem Kopfschmerz korrelierende Bewegungseinschränkungen der oberen Halswirbelsäule auf. Auf solche Zeichen kann mittels spezieller Untersuchungstechniken und nach Ausschluss möglicher spezifisch gefährlicher Pathologien gescreent werden, um in der Folge die Bereiche durch Training oder manualtherapeutische Interventionen zu beeinflussen.

Neben den erwähnten neuromuskuloskelettalen Beeinträchtigungen, die eher als Folge der Migräne zu betrachten sind und weniger als Ursache, spielen in der Physiotherapie Lifestyle-Faktoren und edukative Maßnahmen eine Rolle, die von der Spezialist:in adressiert und in die Therapie integriert werden sollten. Zu den edukativen Maßnahmen zählen u. a. die Aufklärung über das zyklische Verhalten der Migräne, die Schmerzverarbeitung und damit verbundene Verhaltensstrategien bei einer Attacke, aber auch in den interiktalen Phasen.

Eine der wesentlichen Trainingskomponenten ist regelmäßiges moderates Ausdauertraining, darüber hinaus ergaben Untersuchungen zum High-Intensity-Intervalltraining positive Effekte. Dieses ist allerdings erfahrungsgemäß nicht für alle Betroffenen geeignet, wobei es manchen Personen mehr Spaß bereitet als zyklische Dauermethoden wie Laufen oder Ergometertraining. Krafttraining bezieht sich lokal auf die Kraftausdauerfähigkeit der Hals- und Nackenmuskulatur und insgesamt auf ein Training der Arm- und Schultergürtelmuskulatur. Es ist wesentlich, nach dem Pacing-Prinzip eine stufenweise gesteigerte Aktivität zu planen, da viele Patient:innen negative Erfahrungen mit Training und Belastungssteigerungen gemacht haben. Möglicherweise auch deshalb, weil zu schnell zu intensiv trainiert wurde. Es kann sein, dass es bereits während der beginnenden Migräneattacke zu den entsprechenden Trainingsreizen kam und diese daher mit Migräneanfällen assoziiert wurden.

Psychosoziale Assoziationen wie Depressionen oder Angststörungen können in der Physiotherapie dank des zeitlichen Rahmens erkannt und ebenfalls im Zuge edukativer Maßnahmen angegangen werden. In jedem Fall muss jedoch psychologisch-psychotherapeutisches Fachpersonal bei bestehenden Orange Flags hinzugezogen werden, um weitere Interventionen auf dieser Ebene vorzunehmen. Entspannungsverfahren wie die bekannte Jacobson-Methode, autogenes Training oder kognitive Therapien können unterstützend wirken. Es ist jedoch wichtig, Patient:innenpräferenzen zu berücksichtigen, weil solche Maßnahmen für viele eher belastend sein können und damit oft nicht den gewünschten Effekt erzielen.

Fazit

Physiotherapeutische Maßnahmen bieten eine ergänzende Möglichkeit im Management von Patient:innen mit primären Kopfschmerzen wie Migräne. Corinna K. kann mit ihren Kopfschmerzen an speziell ausgebildete Physiotherapeut:innen überwiesen werden, die sowohl den – bislang bekannten und erforschten – Pathomechanismus der Migräne verstehen als auch evidenzbasierte physiotherapeutische Strategien anwenden. Ein neuromuskuloskelettales Screening kann spezifische Problembereiche identifizieren, die sich anschließend sowohl durch passive Hands-on-Techniken als auch durch aktive Trainingsmaßnahmen behandeln lassen.

Edukative Maßnahmen und die Aufklärung über Lifestyle-Faktoren können bereits in der allgemeinmedizinischen Praxis erfolgen und im Zuge der Physiotherapie weiter vertieft werden. So wird Corinna K. zwar bewusst sein, dass die Migräne per se bestehen bleibt – sie sollte aber darauf hingewiesen werden, dass ihre Attacken in puncto Intensität und Häufigkeit durch physiotherapeutische Interventionen und eine medikamentöse Therapie positiv beeinflussbar sind.