Prof. DOROTKA: Was ist geschehen? Frau P. erlitt offenbar schon vor vier Jahren beim Schifahren einen Riss des vorderen Kreuzbands. Das kommt gerade bei Schifahrern relativ häufig vor, und die subjektiven Symptome können danach sehr unterschiedlich sein. Bei manchen Patient:innen können massive Beschwerden wie starker Hämarthros, mehrwöchige Bewegungseinschränkungen und andauernde Schmerzen fast völlig fehlen. Bei einigen Betroffenen kann das Knie sogar symptomfrei werden.
Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit persistierender Beschwerden umso höher, je größer die sportliche Beanspruchung ist. Das Knie von Frau P. war seit dem Unfall auch nie wirklich beschwerdefrei. Es bestanden fallweise Alltagsbeschwerden und sportliche Aktivitäten hat sie vermieden, wohl wissend, dass die vermehrte Belastung das Knie stärker reizen würde. Durch den Verletzungsmechanismus beim Riss des vorderen Kreuzbandes kommt es häufig zu einer starken Kontusion an den Femurkondylen.
Diese Knorpelprellung und Stauchung des subchondralen Knochens ist je nach Heftigkeit der einwirkenden Kräfte im Anfangsstadium noch reversibel. Nicht selten entwickelt sich jedoch bereits beim oder kurz nach dem Trauma eine strukturelle Knorpelschädigung, die in einem Knorpeldefekt mündet. Eine anhaltende Bandinstabilität des Kniegelenks wie bei Frau P. begünstigt das Fortschreiten der Schädigung.
Operative Stabilisierung des Kniegelenks
Nach entsprechender klinisch-orthopädischer Untersuchung, zusätzlichem Einholen von Nativröntgen in zwei Ebenen wird man im Fall von Frau P. die operative Stabilisierung des Kniegelenks empfehlen. Also eine Kreuzbandplastik. Dabei gibt es verschiedene Techniken. Am häufigsten kommt der Ersatz durch kniegelenknahe Sehnen (Semitendinosus/Gracilis, Patellarsehne oder Quadrizepssehne) zur Anwendung, die durch exakt gesetzte und orientierte Bohrkanäle im Schienbein und Oberschenkelknochen gezogen werden.
Die Fixierung kann mit verschiedenen verklemmenden Schrauben, Schlaufen, Pins oder Metallplättchen erfolgen. Liegt wie bei Frau P. zusätzlich ein ausgeprägter Knorpelschaden vor, sollte dieser ebenfalls operativ adressiert werden. Die zu verwendende Methode hängt dann von der Größe des Knorpelschadens, etwaigen begleitenden Knochenveränderungen (z. B. Zysten), dem Patientengewicht und Achsfehlstellungen des Beins ab. So müsste etwa bei einem Knorpelschaden medial und zusätzlich vorliegender Varusstellung des Beins eine Umstellungsosteotomie empfohlen werden.
Wenn wir nun bei Frau P. davon ausgehen, dass die Beinachse gerade ist, ist keine Geradstellung nötig und es kommen prinzipiell für die operative Knorpelbehandlung folgende Methoden in Frage: Knochenmarkstimulation (z. B. Mikrofrakturierung, Mikrodrilling), matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation und Knorpelzelltransplantation. Aufgrund der Beschreibung des Falls mit einem ausgeprägten Knorpelschaden müssen wir von einem Defekt ausgehen, der sich über mehrere Quadratzentimeter erstreckt, weswegen die Methode der Wahl die Knorpelzelltransplantation ist.
In der Standardmethode werden bei einem arthroskopischen Eingriff geringe Mengen an Knorpelgewebe aus nicht belasteten Gelenkanteilen entnommen, im Labor werden die Chondrozyten auf mehrere Millionen hochgezüchtet und in einem zweiten arthroskopischen oder offenen Eingriff in den Defekt eingebracht. Als Trägermaterial für die transplantierten Zellen stehen verschiedene Biomaterialien (sog. Vliese) zur Verfügung. Bei anderen Methoden werden die Chondrozyten in kleinen Kügelchen, sog. Sphäroiden, aus Eigenblut gezüchtet und transplantiert. Neuere Methoden können einseitig durchgeführt werden. Dabei werden bei einer Gelenkspiegelung kleinste, mit einem speziellen Operationsgerät "zerhackte" Knorpelstücke ("minced cartilage") aus dem Gelenk gewonnen, mit patienteneigenen Blutanteilen zu einer Paste vermischt und sofort in den Knorpelschaden eingebracht.
Bei Vorliegen kleiner, tiefgehender Knorpeldefekte mit einer Ausdehnung bis ca. 1,5 cm² kommen auch einzeitige Methoden wie die Mikrofrakturierung oder das Mikrodrilling, bei grenzwertiger Ausdehnung außerdem das zusätzliche Einbringen eines Biomaterials in Frage. Allen Methoden gemein ist, dass speziell wie bei Frau P. eine operative Bandstabilisierung für eine gute Prognose unverzichtbar ist. Ebenso wichtig ist eine entsprechend sorgfältig geplante Nachbehandlung, damit die Operation ein zufriedenstellendes Ergebnis zeitigt.
Konservative Therapie als Alternative
Was aber, wenn Frau P. trotz eingehender Aufklärung keine Operation wünscht? Ein unerlässlicher Teil der weiteren konservativen Behandlung ist sicherlich eine intensive Physiotherapie, um das Gelenk muskulär so stabil wie möglich zu bekommen. Kniebandagen sind nur während stärkerer Belastungen
sinnvoll, wären aber als Dauertherapie bei Frau P. kontraproduktiv. Echte limitierende und stabilisierende Orthesen wären vermutlich mit einem langfristig normalen Alltagsleben nicht vereinbar.
Bei Vorliegen eines starken Reizzustandes mit Ergussbildung muss das Knie auch punktiert und eventuell bei der Gelegenheit mit einer Kortisonmischung therapiert werden. Es sind weiters infiltrative Behandlungen mit intraartikulärer Hyaluronsäure und/oder plättchenreichem autologem Plasma indiziert.
Während die Hyaluronsäuren bereits seit Jahrzehnten bei Kniegelenkschäden häufig zur Anwendung kommen, ist die Instillation von autologem Plasma ("Eigenbluttherapie") noch nicht ganz so gängig. Hyaluronsäurepräparate werden je nach Herstellungsform einmalig oder im Rahmen von Kuren mit bis zu fünf Injektionen verabreicht.
Prinzipiell ist die Studienlage zu mehrmaligen Anwendungen umfangreicher. Umstritten ist die Hyaluronsäure aber immer noch. Groß angelegte Metaanalysen wie jene in der Cochrane Database haben jedoch günstige Effekte auf das Gelenk zeigen können, ein echter Knorpelaufbau ist trotzdem fraglich.
Bei Eigenblutinjektionen werden aus dem entnommenen Patient:innenblut unter anderem Thrombozyten im Plasma mit all ihren verschiedenen Wachstumsfaktoren gewonnen und unmittelbar danach ins Gelenk gespritzt. Dafür stehen verschiedene Methoden einiger Firmen mit unterschiedlichen Herstellungsprotokollen zur Verfügung. Üblicherweise erfolgt die Anwendung in einer Serie von drei bis fünf Mal. In den letzten Jahren wurden zunehmend positive Vergleichsstudien publiziert. Auch hier kann ein echter Knorpelwiederaufbau aufgrund der bisherigen Daten nicht erwartet werden, sehr wohl aber eine Besserung der Beschwerden sowie eine Reizhemmung. Trotz aller konservativen Möglichkeiten ist jedoch im speziellen Fall von Frau P. ein operatives Vorgehen am sinnvollsten.