Hausärzt:in 03/2025
Ärzt:in Assistenz 03/2024

CIDP: Mehr als ein Fragezeichen in der Pathogenese

Fragezeichen
Neben einer immunologischen Komponente gilt eine genetische als auslösende Ursache sehr wahrscheinlich.
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Die Theorie einer immunologischen Kreuzreaktion als Ursache der chronisch inflammatorisch demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) wird von Expert:innen größtenteils anerkannt – aus einer Infektion resultiert also eine Immunantwort, die auch mit körpereigenen Epitopen reagiert. Für die akute Form, das Guillain-Barré-Syndrom (GBS), ist dieser Vorgang bereits gut belegt. Im Falle der CIDP gestaltet sich der Nachweis aber wesentlich schwieriger. Im Gespräch mit der Hausärzt:in gibt die Neurologin PD Dr.in Julia Wanschitz einen Einblick in die Hürden und diskutiert eine genetische Veranlagung als mögliche zweite Bedingung.
Medizinische Expertise
Julia Wanschitz

Ass. Prof.in PD Dr.in Julia Wanschitz (Fachärztin für Neuromuskuläre Erkrankungen an der Med Uni Innsbruck)

HAUSÄRZT:IN: Wie kann CIDP möglichst schnell und sicher diagnostiziert werden?

Prof.in WANSCHITZ: Die CIDP manifestiert sich typischerweise in Form von Missempfindungen im Bereich der Hände und Füße, die sich in einem Zeitraum von Wochen bis Monaten entwickeln und sich oft in die Unterarme und Unterschenkel ausbreiten. Weiters kommt es zu einer Gangunsicherheit und einer Muskelschwäche, die bei der klassischen Verlaufsform symmetrisch distale und proximale Muskelgruppen betrifft, sowie zu einer Abschwächung von Muskeleigenreflexen. Bei atypischen Formen können die Ausfälle auch asymmetrisch oder fokal ausgebildet sein.

Die Diagnose erfolgt anhand einer elektrophysiologischen Untersuchung, in der typischerweise eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit als Ausdruck der Demyelinisierung gezeigt werden kann. Häufig ist auch eine Lumbalpunktion sinnvoll – sie ergibt bei der klassischen CIDP oftmals eine Eiweißerhöhung im Liquor ohne Erhöhung der Zellzahl. Die Diagnose ist nicht einfach zu stellen und erfordert Erfahrung. Bei rasch auftretenden symmetrischen Missempfindungen, Gangunsicherheit und Muskelschwäche sollte eine unverzügliche Vorstellung bei einer Fachärzt:in für Neurologie veranlasst werden.

Gibt es eine Methode, mit der CIDP zweifelsfrei von anderen Polyneuropathien unterschieden werden kann?

Nein, grundsätzlich sehen wir die Symptome einer Neuropathie, die ja sehr viele Ursachen haben. In der Klinik ist also in erster Linie nicht die Art der Symptomatik, sondern vor allem der Verlauf ausschlaggebend. Prinzipiell zeigt eine klassische CIDP charakteristische Veränderungen in der Neurografie. Wobei die Elektrophysiologie bei GBS und CIDP ähnlich ist, hier ist eine Differenzierung manchmal erst nach zwei bis drei Monaten möglich.

Was halten Sie von Nervensonografie oder anderen bildgebenden Verfahren als ergänzende Diagnosetools?

Die Nervensonografie kann Ödeme im Bereich des Nerven oder bei traumatischen Läsionen auch eine Faserdurchtrennung des Nerven zeigen. Man kann schon auch Veränderungen zeigen, die auf eine Entzündung schließen lassen, aber beweisen kann man sie mit der Sonografie nicht.  So wie das MRT wird sie als supportive Untersuchungsmethode anerkannt, die Befunde sind jedoch nicht absolut spezifisch und die Elektrophysiologie ist unerlässlich. In dem Bereich bin ich allerdings keine Spezialistin.

Was ist der aktuelle Wissensstand bezüglich der Pathogenese von CIDP?

Pathophysiologisch ist bei der akuten Form einer demyelinisierenden und axonalen Immunneuropathie, dem GBS, ein Zusammenhang mit Infektionen gut belegt, denn im Anschluss an eine Infektion kommt es durch die Aktivierung des Immunsystems zu einer Kreuzreaktion, die gegen körpereigene Antigene im peripheren Nervensystem gerichtet ist.

Hier lassen sich auch häufig spezifische Antikörper z. B. gegen Ganglioside nachweisen. Bei der CIDP ist ein ähnlicher Mechanismus anzunehmen, allerdings ist dieser weniger gut belegt, da Antikörper bei der klassischen CIDP selten vorkommen. Ob es keine gibt oder ob die verfügbaren Methoden nicht sensitiv genug sind, ist unklar, aber Letzteres halte ich nicht für wahrscheinlich. Vielleicht spielen hier zelluläre Komponenten wie Makrophagen und T-Zellen eine Rolle.

Gibt es eine genetische Komponente?

Ja, es gibt sicherlich eine genetische Komponente, also etwa bestimmte HLA-Assoziationen, aber CIDP ist keine monogen vererbte Erkrankung. Es braucht ein bestimmtes Genprofil und  eine vermehrte Expression bestimmter HLA (Humane Leukozytenantigene) – das sind zum MHC-System gehörige Antigene in der Zellmembran, die dann diese Zellen zu einem leichteren Ziel für eine Immunattacke machen. Die beiden Faktoren müssen zusammenkommen.

Im Gegensatz zu anderen chronischen Neuropathien gibt es bei CIDP bewährte Therapien, der Großteil der Patient:innen spricht auf die Behandlung mit Cortison oder Immunglobulinen gut an. Wie kann man sich die Lebensqualität dieser Menschen vorstellen?

Es hängt immer auch davon ab, wie viele der Nervenfasern schon beschädigt wurden. Wenn bei einer sehr aggressiven Entzündung bereits viele Axone verloren gegangen sind, dann können sich diese nur mehr sehr eingeschränkt erholen. Bei Patient:innen, die auf die Therapien gut ansprechen, lässt sich eine gute Lebensqualität erreichen, wobei es sich um eine chronische Erkrankung handelt und die Behandlung über viele Jahre  bzw. lebenslang notwendig ist und mit der Zeit an Wirksamkeit verlieren kann. Die Patient:innen leiden auch häufig unter einer verminderten körperlichen Belastbarkeit, Müdigkeit und neuropathischen Schmerzen.

Die Ansprechraten bei herkömmlichen Therapien – also mittels Immunglobulinen, Kortikosteroiden und Plasmaaustausch – liegen Studien zufolge zwischen 50 und 75 %.1 Warum spricht also mindestens ein Viertel der Patient:innen nicht auf die Therapien an?

Die Ursache des fehlenden Therapieansprechens ist nicht geklärt. Man hat pathophysiologische Erklärungsmodelle für die CIDP – welche Immunzellen bzw. anderen Faktoren bei der individuellen Patient:in eine Rolle spielen, weiß man nicht. In solchen Fällen werden besonders aggressive Immunsuppressiva ausprobiert, zum Beispiel Cyclophosphamid oder der B-Zell-Depleter Rituximab. Die haben natürlich mehr Nebenwirkungen und erhöhen das Infektrisiko. Bei manchen Menschen ist das aufgrund ihrer zusätzlichen Erkrankungen sehr schwierig oder nicht möglich. Aber hier versucht man eben, die Entzündung mit noch "stärkeren" Medikamenten zu blockieren. Von den neueren Therapien sind die FCn-Rezeptorantagonisten verfügbar. Aber diesbezüglich ist die Forschung noch ganz am Anfang.

Was halten Sie von dem IgG1-Fc-Rezeptorantagonisten Efgartigimod, der heuer in den USA auch für die Therapie von CIDP zugelassen wurde?

FCRn-Blocker fördern den körpereigenen Abbau der Immunglobuline IgG. Das heißt, dass IgG grundsätzlich, aber eben auch die pathogenen Antikörper abgebaut werden und damit sozusagen die Entzündung vermindert wird. Klinisch werden sie bereits in der Behandlung von Myasthenie eingesetzt, bei der CIDP versucht man das jetzt auch. Was man bedenken muss: Bei der Myasthenie haben wir einen klaren Antikörper. Ob das Medikament dann bei CIDP, wo wir eben keine Antikörper haben, genauso gut wirkt, ist schwer einzuschätzen. Die Studienergebnisse zu Efgartigimod bei CIDP sind vielversprechend,2,3 die klinischen Erfahrungen fehlen hier aber noch. Für einen Teil der Patient:innen könnte das Mittel eine Alternative zu den bisherigen Therapien darstellen.