Hausärzt:in 11/2024
Ärzt:in Assistenz 02/2024

Bionische Prothesen: Wiederherstellung des Gefühls bei künstlichen Extremitäten

Ein Forschungsteam unter Leitung von Ao.Univ.-Prof. Dr. Oskar Aszmann von der MedUni Wien hat entscheidende Fortschritte in der Sensibilisierung der künstlichen Extremitäten erzielt: Eine neuartige Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine wurde entwickelt, wodurch erstmals das Gefühl der verlorenen Gliedmaße wiederhergestellt werden konnte.

Dass Patient:innen ihre bionische Prothese nicht wie eine eigene Extremität wahrnehmen können, liegt vor allem an den Unzulänglichkeiten der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Die Wissenschafter:innen rund um Oskar Aszmann (Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Klinisches Labor für bionische Extremitätenrekonstruktion, MedUni Wien) führten, auf der Suche nach Möglichkeiten für eine verbesserte prothetische Kontrolle und ein natürlicheres Körpergefühl, die bisher detailreichste Untersuchung einer biologischen Schnittstelle zwischen Patient:in und Prothese durch. Dabei wurde ein Nerv, der sowohl sensorische als auch motorische Fasern beinhaltet, mit einem nicht dazugehörigen Muskel verbunden, auf dem zusätzlich ein Hauttransplant angenäht wurde. "Der Nerv wuchs daraufhin in Muskel und Haut ein und bildete neue, funktionale Verbindungen mit den Muskelfasern sowie Rezeptoren, welche Bewegungen und Berührungen wahrnehmen – ein Vorgang, den wir Reinnervation nennen", erklärt Studienleiter Aszmann.

Die Untersuchungen am Tiermodell zeigten, dass ein durchtrennter Nerv, wie er beispielsweise nach der Amputation einer Extremität vorliegt, zu zuvor nicht verbundenen Muskeln und Haut umgeleitet und damit der Informationsfluss wiederhergestellt werden kann. "Auf diese Weise haben wir eine neuromuskuläre Landschaft im Amputationsstumpf geschaffen, welche die verlorene Gliedmaße abbildet", so Aszmann. Bei der neu entwickelten Mensch-Maschine-Schnittstelle zeigte ein außerordentlich dichtes Nervenfasernetz in der transplantierten Haut, das Verbindungen zu den natürlichen Berührungssensoren wiederherstellte. Zudem erwiesen sich die darin befindlichen Sinnesorgane der Muskeln in einer so robusten Weise reinnerviert, dass sie die Prothesensteuerung in einem bisher unerreichten Maß verbessern können. "Damit konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass ein Nerv, der nach einer Amputation sein Ziel verloren hat, eine künstlich geschaffene Umgebung wieder innervieren kann", hält Oskar Aszmann fest. 

Damit schaffen die Studienergebnisse die Möglichkeit, dass Patient:innen ihre künstliche Extremität so spüren und bewegen können, als würde sie zum eigenen Körper gehören. Die Forschung stellt einen Durchbruch in der bionischen Rekonstruktion dar. Im nächsten Schritt sollen die Erkenntnisse aus dem Tiermodell in Untersuchungen an Patient:innen mit bionischen Prothesen bestätigt werden. Aszmann zeigt sich überzeugt, dass die Methode auch beim Menschen funktioniert.

Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal "Nature Communications" publiziert.

Festin et al. (2024). Creation of a biological sensorimotor interface for bionic reconstruction. Nature Communications, 15(1). https://doi.org/10.1038/s41467-024-49580-8